Es kam aus heiterem Himmel. Meine Ehe war in ruhigem Fahrwasser vor sich hin getrieben, und mein Leben hatte darin bestanden, Ehefrau von Hugh und Mutter von Dee zu sein - ich war eine dieser farblosen, unauffälligen Frauen, die wohl kaum den Ehrgeiz entwickeln würden, sich störend im Weltenlauf bemerkbar zu machen - da habe ich mich in einen Benediktinermönch verliebt.Das war 1988 über den Winter und den Frühling, aber erst heute, erst ein Jahr später bin ich bereit und überhaupt in der Lage, darüber zu sprechen.Mein Name ist Jessie Sullivan. Ich stehe am Bug der Fähre und sehe über Bull's Bay hinüber nach Egret Island, der Insel der Reiher, dem winzigen Eiland, das der Küste von South Carolina vorgelagert ist. Hier bin ich aufgewachsen. Ich sehe die Insel schon von weitem, sie erhebt sich sichelförmig in warmem Rotbraun und kühlem Meergrün über dem Spiegel des Wassers. Der Wind ist gespickt mit den würzigen Gerüchen meiner Kindheit, das Wasser ist ultramarinblau, es schillert wie schwerer Seidentaft. Ich blicke erwartungsvoll zur Nordwestspitze der Insel: Noch kann ich die Turmspitze der Klosterkirche nicht sehen, aber ich weiß, sie ragt in den hellen Nachmittag.Ich staune selbst heute noch darüber, was für eine brave und anständige Frau ich doch war, bevor ich ihm begegnet bin, mit was für einem schlichten, leidenschaftslosen Leben ich mich beschieden hatte, die Tage glatt und ebenmäßig wie eine Perlenschnur, die kühl durch meine Finger rann. Wenige Menschen ahnen, wozu sie eigentlich fähig sind. Mit meinen zweiundvierzig Jahren hatte ich noch nie etwas getan, das mir den Atem geraubt hätte, und ich glaube, darin hat zumindest teilweise das Problem gelegen - in meiner vollkommenen Unfähigkeit, mich selbst zu überraschen.Und dann: Ich weiß das wohl, ich habe eine schöne Katastrophe angerichtet. Der Sünde hätte ich mich hingegeben, hat es geheißen, aber das ist noch harmlos formuliert. Ich habe mich ihr nicht hingegeben - ich habe mich in ihre Arme geradezu gestürzt.Vor sehr langer Zeit, als ich noch mit meinem Bruder in seinem kleinen Kahn durch das Labyrinth der winzigen Buchten auf der Insel gerudert bin, als ich noch wild und ungebändigt war und mir Spanisches Moos in die Zöpfe geflochten habe oder mit langem, wirrem Haar herumgelaufen bin, hat mir mein Vater von den Meerjungfrauen erzählt, die rings um die Insel lebten. Er hat behauptet, er hätte sie einmal von seinem Boot aus gesehen - in den rosaroten Stunden des frühen Morgens, wenn die Sonne wie eine satte Himbeere auf dem Wasser trudelt. Die Meerjungfrauen wären wie Delfine um sein Boot herumgeschwommen, so hat er gesagt, sie wären aus den Wellen aufgetaucht und wieder darin versunken.Ich habe ihm aufs Wort geglaubt. Ich habe ihm sowieso jede noch so ungeheuerliche Geschichte geglaubt. »Was haben sie denn gewollt? Ich dachte, Meerjungfrauen sitzen auf Felsen und kämmen sich ihr Haar?«, habe ich ihn gefragt. Allerdings gibt es auf der Insel gar keine Felsen, es gibt nur Marschland, dessen Gras sich im Kreislauf der Jahreszeiten färbt - von Grün zu Braun zu Gelb und wieder zu Grün - der ewige, unabänderliche Rhythmus der Insel.»Aber ja doch, natürlich sitzen Meerjungfrauen auf Felsen und richten sich ihr Haar«, hat mir mein Vater geantwortet. »Aber ihre eigentliche Aufgabe besteht darin, uns Menschen zu retten. Deshalb sind sie ja auch zu meinem Boot gekommen - um da zu sein, falls ich kentern sollte.«Am Ende haben ihn die Meerjungfrauen dann doch nicht gerettet. Aber ich frage mich, ob sie nicht mich gerettet haben. Ich kann nur so viel sagen - sie sind zu mir gekommen, in jenen rosaroten Stunden meines Lebens.Sie sind mein Trost. Ihretwegen bin ich getaucht, mit weit ausgebreiteten Armen, und ich bin tief getaucht. Als ich in die Fluten gesprungen bin, habe ich jeglichen Anstand, sämtliche Regeln hinter mir gelassen, aber dennoch war dieser Sprung unbedingt notwendig, und er ha... Mehr