... Luca Marchetti befand sich direkt hinter dem Pferd inmitten der aufgeregt diskutierenden Menschen, als sein Handy klingelte. "Pronto!", rief er in Hochstimmung.Eine Stimme redete aufgeregt auf ihn ein, und er verstand kein Wort. Amüsiert bat er um eine Pause: "Aspetti, aspetti!", dann ließ er sich einige Meter zurückfallen. "Was?" Wieder erklang die jugendliche Stimme, und er erkannte Pietro Balloni, seinen Assistenten. Ernst redete Balloni auf ihn ein, und Marcettis Stimmung sank auf den Nullpunkt: "Mord?""Si, si, si ....", weiter hörte Luca nicht mehr hin. Ein Mord? Jetzt? Jetzt war der Palio! Er hatte keine Zeit für einen Mord! Das ganze Jahr über war nichts losgewesen, und ausgerechnet jetzt? Sie hatten ein gutes Pferd, mit Aussicht auf Sieg! Jetzt mussten Ränke geschmiedet, Verbündete gewonnen und vor allen Dingen die feindliche Contrada beobachtet werden. Die Contrada! Sie war der Inbegriff seines Lebens und Denkens! Die Nobile Contrada dell'Aquila, eine der siebzehn Contraden, die es in Siena gab. Sie war klein, aber vielleicht gerade deswegen eine in sich verschworene Gemeinschaft. Wie oft hatte er hier als Jugendlicher Zuflucht gefunden, ob bei Liebeskummer, Krach mit den Eltern oder Ärger in der Schule. Seine Freunde waren stets für ihn da, auch jetzt noch, wenn er als Commissario auf verschlungene, geheime und diskrete Informationsquellen angewiesen war. Er zahlte es durch seine absolute Loyalität zurück, indem er der Contrada ganz und gar in Krisenzeiten zur Verfügung stand. Ein Contradaiolo mit Leib und Seele. Sich jetzt um einen Mord zu kümmern? Mamma mia! Jetzt musste schnellstens mit einem guten Fantino, wie die Jockeys in Siena genannt wurden, verhandelt werden, politische Ränke geschmiedet werden! Marchetti gehörte zu den Vertrauten des Capitano, dem Mann, der alles während des Palios entschied, und auf ihn warteten wichtige Aufgaben. Nur widerwillig wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Handy zu: "Was ist passiert?"Balloni wiederholte geflissentlich seine Worte, denn er kannte seinen Chef und sein Temperament nur zu gut. Kurz und knapp meldete er: "Ein Mann mit eingeschlagenem Schädel, gefunden in einem Müllcontainer, an der Superstrada nach Florenz, Ausfahrt Monteriggioni.""An der Superstrada?", überlegte Marchetti überrascht. Dort gab es keine Müllcontainer!"Nein, du nimmst die Ausfahrt ,Monteriggioni', fährst an der Festung vorbei, dann kommt die Mülltonne nach ein paar Kilometern.""Ach so! Ist der Tatort schon abgesperrt?""Natürlich!", erklärte Balloni in seiner ruhigen Art. "Und die Spurensicherung ist auch schon verständigt.""Bene!", knurrte Marchetti. "Was soll ich dann noch dort?"Ein leises Kichern antwortete ihm: "Du bist der Chef! Es handelt sich um Mord!""Ach so! Na schön, ich komme gleich!""Ciao!", erklang es am anderen Ende.Marchetti beeilte sich, die anderen einzuholen, und wandte sich an seinen Capitano: "Mi dispiace! Aber ich muss kurz weg. Ein Mord!"Ungläubige, von der aufgeschaukelten Begeisterung der letzten Minuten ein wenig wässrige Augen schauten ihn entgeistert an. "Jetzt? Jetzt ist Palio! Ich brauche dich hier!""Lo so!", das weiß ich doch, entgegnete Luca unwillig und warf theatralisch die Arme hoch. "Wahrscheinlich ein Tourist!" Nur ein Tourist hatte die Frechheit, sich während des Palios umbringen zu lassen.... Mehr